Burgenregion Allgäu

Historische Einführung

Bedeutsame Burgenlandschaften erkennt man heutzutage vor allem nachts, wenn die Burgen und Burgruinen hoch oben auf den Hügeln angeleuchtet werden. Wer im Füssener Raum übernachtet, sieht den “leuchtenden Burgenkranz” aus Neuschwanstein, dem Hohen Schloss in Füssen, Falkenstein, Eisenberg und Hohenfreyberg.

Die Burgenregion Allgäu zeichnet sich aus durch eine beeindruckende Vielfalt an Burgentypen aus allen Jahrhunderten. Im Allgäu massieren sich auf engem Raum über 300 Befestigungsanlagen, davon 60 erhaltene Burgen, Schlösser mit mittelalterlichem Kern, Burgruinen sowie eine Vielzahl an Burgställen, d.h. früh abgegangene Burgen.

Dank des LEADER- Plus- Projektes ergab sich die Möglichkeit, diese Burgenlandschaft für den Kulturtourismus attraktiv zu erschließen.

Burgengeschichte ist eine Geschichte über Herrschaftsansprüche. Der Bau von Burgen war bis ins 13. Jahrhundert ein königliches Vorrecht. Schon bald gaben Bischöfe, Äbte und Äbtissinnen sowie Fürsten und Grafen ihren Dienstmannen die Erlaubnis oder sogar den Befehl zum Burgenbau. Burgenbau war die wichtigste Methode zur Sicherung der Herrschaft und zur Erschließung von neuen Siedlungs- und Anbauflächen. Die Burgen mit ihren oftmals in der Vorburg gelegenen Höfen waren die wirtschaftlichen und verwaltungstechnischen Zentren der umliegenden Dörfer.

Im Mittelalter wurde die Geschichte des Allgäus vor allem geprägt von zwei großen geistlichen Institutionen, dem Fürststift Kempten und dem Hochstift Augsburg. Vom 8. Jahrhundert bis zum Ende des Alten Reiches im Jahr 1806 waren sie die bedeutendsten Herrschaftsträger der Region mit einem umfangreichen Besitz und zahlreichen Dienstleuten. Unter den Dienstleuten waren ehemals unfreie Ministerialen, die Verwaltungsaufgaben erfüllten und Berufskrieger, von denen einige den Rittertitel erlangten. Klöster wie Füssen, Ottobeuren, Irsee, Lindau oder St. Gallen versuchten ebenfalls, ihre Herrschaft im Allgäu mit Hilfe von Familien zu festigen, die in den Niederadel aufgestiegen waren. Diese Adelsfamilien knüpften im Lauf der Zeit überregionale Kontakte.

Dem Fürststift Kempten gelang es bis zur Neuzeit ein geschlossenes Territorium aufzubauen. Auch das Hochstift Augsburg konnte im Lauf der Zeit weiteren Besitz an sich binden. Unter den weltlichen Herrschaftsträgern dominierten zwei Familien des Hochadels: die Markgrafen von Ronsberg und die grafengleichen Nobiles von Rettenberg mit ihren Seitenlinien.

Beide Adelsfamilien gehörten zum Umfeld der Welfen, die 1191 als Erben die Staufer einsetzten, mit denen neue Adelsfamilien ins Allgäu kamen. Nach dem Ende der Stauferzeit rangen vor allem im Ostallgäu mächtige Herren um die Verteilung der Güter, Rechte und Einflusszonen, unter ihnen Graf Meinhard II. von Tirol, der Bayernherzog Ludwig II. und Bischof Hartmann von Augsburg. Auch die Habsburger, die mit Rudolf I. ab 1273 zum ersten Mal den deutschen Kaiser stellten,  bauten ihre Beziehungen zum Allgäu immer weiter aus. Im Spätmittelalter wuchs die Einflussnahme Österreichs. Viele Adelige waren über Dienstverpflichtungen an Herzog Sigismund oder später an Kaiser Maximilian gebunden.

Der gesellschaftliche Umbruch des 16. Jahrhunderts beendete die Burgenzeit. Viele kleinere Anlagen waren bereits aufgegeben worden, andere wurden nach den Zerstörungen im Bauernkrieg nicht mehr neu errichtet, nur wenige baute man zu Schlössern um.

Die Entwicklung des Allgäuer Burgenbaus verlief analog zum mitteleuropäischen Burgenbau. Auch im Allgäu begann der Burgenbau mit dem 11. Jahrhundert. Eine Besonderheit des Burgenbaus im Allgäu sind die winzigen Burgställe in schwer zugänglichen Höhenlagen, deren Alter und Gestalt ohne die archäologische Forschung rätselhaft bleiben.

Bei der Burg  Schwanstein, dem heutigen Schloss Hohenschwangau wurde 1363 ein Rundturm erwähnt. Die späteren Umbauten der Burg haben diesen Rundturm verschwinden lassen.

Im Laufe des 15. Jahrhunderts stellte sich die Wehrarchitektur auf die immer populärer werdenden Feuerwaffen um. Damit taucht im süddeutschen Raum eine neue Schießschartenform auf, die sog. Schlitzmaulscharte. Diese eher rare Schießschartenform existierte nur für kurze Zeit und ist heute im Allgäu an zwei Burgen vertreten: am Artilleriedonjon von Laubenbergerstein und am nahe gelegenen Torbau der Burg Werdenstein. Ab 1480 gehören Artillerierondelle, Zwinger (vorgelagerte Mauerringe) sowie schlüssel- oder maulförmige Schießscharten zum Standard beim Burgenbau. Allerdings konnten sich nicht alle Burgherren diese teuren Modernisierungsmaßnahmen leisten.

Mit der kontinuierlich verbesserten Reichweite und Durchschlagskraft der Geschütze musste die mittelalterverhaftete Wehrarchitektur allmählich dem Festungsbau weichen.

Mittelalter- und Burgenrezeption

Um dem nüchternen Geist der Aufklärung und dem strengen Beamtentum zu entkommen, setzte Ende des 18. Jahrhunderts eine Mittelalter - und Burgenrezeption ein, die bewusst ein falsches Bild vom Mittelalter schuf. Einerseits wurde das Mittelalter als kriegerisch und blutrünstig dargestellt; die Burgen degenerierten zu Kriegsmaschinerien ungeachtet der Tatsache, dass sie zur damaligen Zeit wichtige Zentren der Verwaltung, der Rechtssprechung, des Wirtschaftslebens und der höfischen Kultur waren. All diese Fiktionen des 18. und 19. Jahrhunderts haben uns bis in die Gegenwart hinein so fasziniert, dass sich erst allmählich ein realistisches Bild vom damaligen Leben auf den mittelalterlichen Burgen durchsetzt. In der Realität existierten riesige Kriegsburgen nicht, richtig ist allerdings, dass Burgen vorrangig der Machtdemonstration dienten.

Im 19. und 20. Jahrhundert kam es dann entsprechend der Fantasien vom Mittelalter zu entsprechenden Neu- und Umbauten. Erneut waren es die Königshäuser, die Fürsten und Grafen, nun ergänzt durch reiche Industrielle, die herausragende Neukreationen schufen.

Allen voran König Ludwig II. von Bayern, der 1868 die mächtige Ruine Hohenschwangau komplett wegsprengen ließ, um Neuschwanstein nach eigenen Vorstellungen zu erbauen. Und auch seine unrealisiert gebliebene Vision von der Raubritterburg Falkenstein am Platz der gleichnamigen Ruine wies kaum eine Ähnlichkeit mit hochmittelalterlichen Burgen auf.

König Ludwig II.

war sicherlich ein bedeutender Visionär der menschlichen Architekturgeschichte. Von Kindheit an begeistert von den mittelalterlichen Sagen, inspirierten ihn die historischen Opern Richard Wagners zu fantastischen Visionen. Unabhängig davon, ob Besucher Neuschwanstein als Kunst oder Kitsch wahrnehmen, liegt seine Bedeutung als erklärtes Weltkulturerbe zweifellos darin, dass es das Meisterstück der Burgenrezeption des 19. Jahrhunderts ist. Es zeigt allerdings auch, in welchem Ausmaß im 19. Jahrhundert das Mittelalter verklärt und die Burgen monumentalisiert wurden. Neuschwanstein war auch 18 Jahre nach Baubeginn beim Tode König Ludwigs noch immer nicht fertig gestellt. Heute ist Neuschwanstein ein Publikumsmagnet, eine der letzten Bitten Ludwigs lautete, man möge seine Schlösser als private Heiligtümer nicht profanieren. Angesichts der erfolgreichen Vermarktung mit Millionen von Besuchern war dies wohl ein verständlicher, wenn auch unrealistischer Wunsch.

Die letzten Burgneukreationen wurden vom nationalsozialistischem Regime für Schulungszwecke geschaffen. Hierfür stattete man Kasernen mit Türmen und Doppelturmtoren aus.

Neben Neuschwanstein besitzt das Allgäu einen zweiten hervorragenden Vertreter der Burgenrezeption: die 1418 -32 erbaute Burg Hohenfreyberg. Hier schuf der damalige Bauherr mit Absicht eine stauferzeitliche Höhenburg zu einer Zeit, als die Feuerwaffen bereits starken Einfluss auf die Wehrarchitektur nahmen.

Der vorliegende Text bezieht sich auf die Veröffentlichung von Dr. Joachim Zeune: Burgenregion Allgäu. Ein Burgenführer. Ausführliche Informationen sind einzusehen unter

www.burgenregion.de.

Der Autor , geb. 1952, promovierte 1986 an der Universität Bamberg über den schottischen Burgenbau des 15. bis 17. Jahrhunderts. Seit 1995 unterhält er ein Büro für Burgenforschung mit Hauptsitz in Eisenberg/Ostallgäu, wo er mit seiner Frau Ruth und seinen drei Kindern Naemi, Jakob und Elias lebt.

Seit 2004 ist Dr. Joachim Zeune  1. Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats der Deutschen Burgenvereinigung e.V. und Kurator des Europäischen Burgeninstituts.