Hildegard von Bingen (1098 - 1179)
Hildegard von Bingen, in Rheinland-Pfalz geboren, war Benediktinerin, Dichterin und eine bedeutende Universalgelehrte ihrer Zeit. In der römisch-katholischen Kirche wird sie als Heilige verehrt und auch in der anglikanischen und evangelischen Kirche wird mit Gedektagen an sie erinnert.
Hildegard von Bingen gilt als erste Mystikerin des Mittelalters. Ihre Werke thematisieren Religion, Medizin, Musik, Ethik und Kosmologie. Daneben war sie Beraterin vieler Persönlichkeiten.
2012 ernannte Papst Benedikt XVI. Hildegard zur Kirchenlehrerin und dehnte ihre Verehrung auf die Weltkirche aus.
Hildegard wurde als zehnte Tochter des Edelfreien Hildebert von Bermersheim-Alzey und seiner Frau Mechthild geboren. Schon als kränkliches Kind hatte sie Visionen und behielt diese prophetische Gabe ihr Leben lang. In ihrem achten Lebensjahr wurde Hildegard, wie damals üblich, von ihren Eltern in die religiöse Erzeihung zu einer Verwandten Jutta von Sponheim gegeben. Auch hier war Hildegard immer wieder krank, konnte phasenweise kaum gehen und war durch Sehbehinderungen eingeschränkt. Nach Juttas Tod wurde Hildegard deren Nachfolgerin als Priorin. Später gründete sie ihr eigenes Kloster auf dem heutigen Rupertsberg bei Bingen zusammen mit 18 Schwestern. Männer und Frauen aller Stände suchten sie in ihrem Kloster auf oder baten schriftlich um Rat. Mit vielen bedeutenden Persönlichkeiten wie etwa Kaiser Friedrich Barbarossa führte sie einen ausführlichen Briefwechsel.
1141 begann Hildegard, ihre Visionen und theologischen sowie anthroplogischen Vorstellungen niederzuschreiben in Zusammenarbeit mit dem Mönch Volmar und ihrer Vertrauten, der Nonne Richardis von Stade. Unterstützt von Bernhard von Claivaux bekam sie schließlich von Papst Eugen III. die Erlaubnis zur Veröffentlichung der Schriften. Ihre Bücher enthalten stets Miniaturen zur Veranschaulichung der oftmals komplizierten und tiefsinnigen Texte.
Hildegards bildliche Beschreibungen ihrer körperlichen Zustände und Visionen interpretiert der Neurologe Oliver Sacks als Symptome einer schweren Migräne. Sacks und andere moderne Naturwissenschaftler gehen davon aus, dass Hildegard an einem Skotom litt, das die halluzinatorischen Lichtphänomene hervorrrief.
Immer wieder kam es zu Auseinandersetzungen mit geistlichen Amtsträgern. So verlangten der Mainzer Erzbischof Heinrich und sein Bremer Amtsbruder, dass Richardis von Stade das Kloster verlassen solle um an einem anderen Ort Äbtissin zu werden. Richardis war die Schwester des Bremer Erzbischofs. Hildegard verweigerte zunächst die Freistellung ihrer engsten Mitarbeiterin, konnte sich aber nicht durchsetzen, Richardis verließ das Kloster Rupertsberg.
Hildegards Bekanntheit und ihr guter Ruf führten zu einem ansteigenden Reichtum des Klosters, was wiederholt Kritiken hervorbrachte. So warf man ihr vor, dass ihre Nonnen entgegen dem evangelischen Rat der Armut angeblich luxuriös lebten und nur Frauen aus adligen Familien in Rupertsberg aufgenommen wurden. Da die Zahl ihrer Nonnen ständig zunahm, gründete Hildegard ein Tochterkloster in Eibingen, in das Nichtadlige eintreten konnten und setzte dort eine Priorin ein.
Die Bedeutung Hildegard von Bingens läßt sich nur schwer einzelnenen Kategorien zuordnen. Mit ihrem universalen Denken setzte sie neue Impulse, die bis in die Gegenwart hinein nachwirken. Ihr selbstbewusstes und charismatisches Auftreten führte schon zu Lebzeiten zu großer Bekanntheit. Hildegard predigte als erste Nonne öffentlich und unternahm auch noch im hohen Alter Reisen zu den verschiedenen Klöstern. Ihre moralische Lehre faszinierte damals nicht nur Nonnen, sondern auch Mönche, Adlige und Laien. Vor allem sind es drei theologische Werke, die ihren Ruhm begründeten: Ihr Hauptwerk ("Wisse die Wege") ist eine Glaubenlehre; das zweite Hauptwerk ("Buch der Lebensverdienste") könnte man als visionäre Ethik beschreiben; im dritten Buch beschreibt sie die Schöpfungsordnung gemäß der mittelalterlichen Mikrokosmos-Makrokosmos-Vorstellung. Der Mensch erscheint als Mikrokosmos, der in all seinen körperlichen und geistigen Eigenschaften die Gesetzmäßigkeiten des gesamten Makrokosmos widerspiegelt. Alles ist aufeinander bezogen, wechselseitig miteinander verbunden und untrennbar in Gott vereint. Hildegard empfand deutlich die Auswirkungen menschlichen Verhaltens auf die Umwelt, Schöpfung - im Guten wie im Bösen. Erst wenn der Mensch seine Ichbezogenheit aufgibt, erfährt er die innige Verbundenheit mit den anderen Geschöpfen und es taucht die "Urfreude" in ihm auf, die Seligkeit, gewollt zu sein in einer Weltordnung, in der jedes Geschöpf mit einem anderen verbunden ist und jedes Wesen durch ein anderes gehalten wird. Der Gedanke der Einheit und Ganzheit ist auch grundlegend für Hildegards Naturkunde. 280 Pflanzen und Bäume hat sie katalogisiert und nach ihrem Nutzen für die Behandlung von Krankheiten aufgelistet. Der Begriff "Hildegard-Medizin" wurde 1970 als Marketing-Begriff eingeführt. Ausführlich beschäftigte sie sich mit der Entstehung und Behandlung von Krankheiten. Ihre medizinischen Fähigkeiten werden allerdings ernüchternd kritisch bewertet, weil ihre Werke hinsichtlich Diagnose und Therapie wohl schon damals weit hinter den bestehenden arabischen und griechischen Erkenntnissen zurücklagen. Als Medizinerin sei sie den arabischen Ärzten weit unterlegen. Unbestritten bleibt ihre Bedeutung als Mystikerin und ihr Einfluß auf die Musik.
Das Kloster Rupertsberg wurde während des Dreißigjährigen Krieges 1632 von den Schweden zersört. Die Ruinen wurden überbaut. Die vertriebenen Ordensschwestern übersiedelten in das Kloster Eibingen. Das Kloster Eibingen wurde 1803 aufgehoben und teilweise abgebrochen. Die Klosterkirche ist heute eine Wallfahrtskirche und beherbergt einen Schrein mit den Gebeinen Hildegards.
Die Forschungen zum Leben Hildegards haben mittlerweile weltweite Bedeutung gewonnen. In Europa befassen sich unzählige Diplomarbeiten und Forschungsgruppen mit den Schriften und dem Wirken der Heiligen. Ein verstärktes Interesse an den Werken Hildegards ist in den letzten Jahren in den Vereinigten Staaten und in Asien entstanden.
Die Regisseurin Margarethe von Trotta verfilmte 2008 ihr Leben mit dem Titel "Vision- Aus dem Leben der Hildegard von Bingen".