Fritz Riemann (1902 - 1979)

war ein deutscher Psychotherapeut, Astrologe und Autor. 1922 begann er in München das Studium der Psychologie, verließ jedoch die Universität, weil er sich von der experimentellen Psychologie nicht angezogen fühlte. 1924 heiratet er eine Medizinerin. 1934 wird er Schüler des Astrologen Freiherr von Klöckler und Lehranalysand bei der Psychoanalytikerin Therese Benedek. 1939 heiratet er ein zweites Mal. Im Zweiten Weltkrieg wird Riemann zum Kriegsdienst eingezogen. Nach Kriegsende baute er wieder seine Praxis für Psychoanalysye und Psychotherapie auf, aus der später eine Akademie hervorging. 1950 wird auch seine zweite Ehe geschieden und Riemann heiratet ein drittes Mal. Insgesamt hat Fritz Riemann drei Lehranalysen gemacht, die letzte bei Harald Schultz-Hencke. Beeinflußt von der Astrologie veröffentlicht Fritz 1961 seine tiefenpsychologische Studie Grundformen der Angst, gefolgt von weiteren Publikationen.

Die Grundformen der Angst hängen nach Auffassung von Riemann mit unserer Befindlichkeit in der Welt zusammen. Wir sind eingefügt in einen Kosmos mit überpersönlichen Gesetzmäßigkeiten, die auf uns einwirken ohne dass wir uns dessen bewußt sind. Die kosmischen Gesetzmäßigkeiten umschreibt Riemann wie folgt: unsere Erde umkreist in bestimmten Rhythmen die Sonne, bewegt sich also um das Zentralgestirn, diese Bewegung nennt er Revolution, Umwälzung. Gleichzeitig dreht sich dabei die Erde um ihre eigene Achse, eine Bewegung, die er Rotation, Eigendrehung nennt. Damit sind zugleich zwei weitere gegensätzliche bzw. sich ergänzende Impulse gesetzt - die Schwerkraft und die Fliehkraft. Die Schwerkraft hält unsere Welt zusammen und richtet sich zentripetal nach innen, sie hat etwas von einem festhaltenden und anziehenden Sog. Die Fliekraft strebt zentrifugal nach außen, drängt in die Weite und hat loslassende, sich ablösen wollende Eigenschaften. Nur das ausgewogene Zusammenspiel dieser vier Impulse garantiert die Ordnung im Kosmos, das Ausfallen von nur einer Bewegung würde die Ordnung stören und ins Chaos führen.

Nehmen wir einmal an, dass der Mensch als Bewohner der Erde und als winziges Teilchen im Sonnensystem auch den Gesetzmäßigkeiten des Kosmos unterworfen ist - so hätten die kosmischen Bewegungen Entsprechungen im seelischen Erleben. Die Rotation, die Eigendrehung entspricht im psychologischen Erleben dem Bedürfnis nach Individuation, Selbstwerdung im Sinne von C.G. Jung. Der Revolution, der Bewegung um die Sonne entspricht im psychologischen Erleben die Bereitschaft, sich in ein größeres Ganzes einzuordnen zugunsten überpersönlicher Zusammenhänge. Damit wäre bereits die erste Antinomie beschrieben. Der zentripetalen Schwerkraft entspricht auf der seelischen Ebene unser Bedürnis nach Dauer und Beständigkeit während die zentrifugale Fliehkraft sich widerspiegelt in unserem Bedürnis nach Veränderung und Wandlung. Dies wäre die zweite Antinomie, der wir ebenfalls permanent ausgesetzt sind.

Mit der Individuation, dem Annehmen und Entwickeln unserer Einmaligkeit grenzen wir uns von anderen ab, damit schwingt aber auch die Angst mit, aus der Geborgenheit des Dazugehörens und der Gemeinsamkeit herauszufallen, es entsteht die Angst vor Einsamkeit und Isolation. Mit der Revolution, dem Sich-einordnen in ein größeres Ganzes öffnen wir uns vertrauensvoll der Welt, dem Leben und den Mitmenschen, wir lassen uns ein und tauschen uns aus mit dem Nicht-Ich, dem Anderen und dem Fremden. Es ist die Seite der Hingabe im weitesten Sinne an das Leben, die mit der Angst verbunden ist, unser Ich zu verlieren, abhängig zu werden, uns auszuliefern, das Eigensein nicht angemessen leben zu können und in der geforderten Anpassung zu viel von uns aufgeben zu müssen. Riskieren wir dieses Geworfensein in andere Welten nicht, so bleiben wir isolierte Einzelwesen ohne Bindung, ohne Zugehörigkeit zu etwas über uns Hinausreichendem. Entsprechend der zentripetalen Schwerkraft im Kosmos streben wir auf der psychischen Ebene Dauer und Beständigkeit an. Mit dem Bedürfnis, sich niederzulassen und Zukunft zu planen, als ob wir damit etwas Festes und Sicheres vor uns hätten, sind alle Ängste verbunden, die mit dem Wissen um die eigenen Vergänglichkeit entstehen, die Angst vor dem Ungewissen und vor dem Neuen, das Bedürfnis nach persönlicher Ewigkeit entpuppt sich als illusionär und macht Angst. Und schließlich die kosmische Fliehkraft, die auf psychischer Ebene in der Fähigkeit zum Wandel besteht, in der Bereitschaft, Veränderungen zu bejahen, Vertrautes aufzugeben, Traditionen und Gewohntes hinter sich zu lassen, Abschied zu nehmen und alles nur als Durchgang zu erleben. Damit verbunden ist die Angst, durch Regeln und Gesetze, durch den Sog der Vergangenheit festgehalten, eingeengt und begrenzt zu werden in unserem Freiheitsdrang. Es droht hier die Angst nicht wie zuvor durch den Tod als Vergänglichkeit, sondern die Angst vor dem Tod als Erstarrung und Endgültigkeit.

Insgesamt sind es vier Grundformen der Angst, die wir soeben kennengerlenrnt haben:

1. Die Angst vor der Selbsthingabe, als Ich- Verlust und Abhängigkeit erlebt. 2. Die Angst vor der Selbstwerdung, als Ungeborgenheit und Isolation erlebt. 3. Die Angst vor der Wandlung, als Vergänglichkeit und Unsicherheit erlebt und 4. Die Angst vor dem Bestehenden, als Endgültigkeit und Unfreiheit erlebt.

Zwischen den kosmischen Dimensionen von Wandel und Dauer, von Nähe und Distanz vollzieht such auch das menschliche Leben und in der Lebensbejahung kann jeder Mensch die damit verbundenen Ängste überwinden.