Sucht und Kreativität
... hinter jeder Sucht steckt eine Sehnsucht.
Historisches
Der Wunsch des Menschen, der Wirklichkeit wenigstens für kurze Zeit zu entfliehen und den Belastungen des Alltagslebens auszuweichen, dieser Wunsch dürfte so alt sein wie die Geschichte der Menschheit selbst. Und so hat man schon früh die berauschende Wirkung einzelner Substanzen entdeckt und angewandt.So waren die Sumerer in Mesopotanien schon vor 9000 Jahren mit der Zubereitung von Bier vertraut und zur Verarbeitung von Weintrauben kam es ebenfalls schon vor ca. 8000 Jahren. Bei den Griechen war der typische Rahmen für das Weintrinken das Symposium. Erst nach einem gemeinsamen Mahl ohne Alkohol folgte das Trinkgelage, bei dem es immer häufiger zu Ausschweifungen kam. In China ging im 11. Jahrhundert v. Chr. die Shang-Dynastie am Alkohol zugrunde. Die Gründung geistlicher Orden und die Errrichtung von Klöstern trugen wesentlich zur Verbreitung des Weinbaus an. Im Mittelalter galt es als eine Art medizinischer Vorsorge für die Männer, sich einmal im Monat einen Alkoholrausch anzutrinken und damit die "schlechten Säfte" aus dem Körper zu spülen. Eine traditionell große Rolle spielt der Alkoholkonsum in der Seefahrt. Handels- und Kriegsschiffe hatten mehr Bier oder Wein an Bord als Trinkwasser.
Nicht immer waren die Menschen dazu in der Lage, kontrolliert mit dem Alkoholkonsum umzugehen; es kam zu regelrechten Besäufnissen und die "Trunksucht" war weit verbreitet. So klagt Martin Luther 1541, dass "ganz Deutschland mit dem Saufen geplagt ist". In einem mittelalterlichen "Sentbrief wider dem Saufteuf" findet sich eine Aufzählung der schädlichen Folgen des Alkoholtrinkens, die bis in die Gegenwart hinein erstaunlich aktuell geblieben ist. Auch in Russland war das exzessive Trinken lange vor Dostojewski ein Problem; um die weit verbreitete Trunksucht einzudämmen, belegte Zar Michael 1634 das Trinken von Bier und Branntwein mit Exil und Folter.
Später, mit der Industrialisierung entstanden die ersten Schnapsfabriken, dort erhielten Arbeiter einen Teil ihres Lohnes in Form von Branntwein, der die Strapazen nach ihrem 16-Stunden Arbeitstag mildern sollte.
Fazit: die Geschichte des Alkohols ist eine Geschichte entgegengesetzter Strömungen, zum einen gab es immer wieder die Tendenz, übermäßigen Alkoholkonsum zu bestrafen oder grundsätzlich zu verbieten, zum anderen neigten die Menschen zu allen Zeiten immer wieder dazu, Alkohol nicht nur in Maßen zu geniessen.
1968 wurde der Alkoholismus vom Bundessozialgericht als Krankheit anerkannt mit der Folge, dass vermehrt Fachkliniken für suchtkranke Menschen aufgebaut wurden.
Parallel zum Alkohol läßt sich für die sogenannten "harten Drogen" eine ähnliche Geschichte nachzeichnen.
Vor allem im arabisch-asiatischen Kulturkreis (Vorderer Orient) sowie im mittel-und südamerkanischen Raum existiert eine lange Tradition in der Verwendung von Rauschmitteln. Opium, der eingedickte Milchsaft aus den Samenkapseln des Schlafmohns, gehört bzu den ältesten und am weitesten verbreiteten Drogen.
Paracelsus wandte die "Opium-Kur" zur Behandlung endogener Depressionen an. In seinem Entwurf zu einer Heilmittellehre gegen psychische Krankheiten empfahl P. J. Schneider noch 1824 als "narkotische Mittel" u.a. Stechapfel, Opium und Belladonna. Ende des 18. Jahrhunderts stiegen englische Kaufleute in den verbotenen Opiumhandel mit China ein, um Teeimporte zu finanzieren. Der Versuch der Chinesen, den Schmuggel zu unterbinden, führte zu zwei Opiumkriegen. Im 19. Jahrhundert wurde mit Morphin der eigentliche Wirkstoff des Opiums herausgefiltert. 1925 ächtete das Internationale Opiumabkommen weltweit Opium, Heroin und Kokain.
Neben dem Opium kommen als weitere Rauschmittel im arabisch-asiatischen Kulturkreis Haschisch (indischer Hanf, Cannabis) und im Mittel- Südamerkanischen Raum Kokain sowie andere Halluzinogene zur Anwendung. Diese Stoffe wurden primär für religiös-kultische Praktiken und magische Rituale eingesetzt.Als der Einfluss der Priester und Schamanen zurückgeht, tritt der individuelle Genuss in den Vordergrund und damit auch der übermäßige, exzessive Gebrauch. 1899 verfaßte Sgmund Freud unter dem Einfluß von Kokain sein Werk "Die Traumdeutung" und entdeckte das Unbewußte. In den 20er Jahren pflegten die bürgerlichen Kreise in den Großstädten den gemäßigten Konsum von Kokain und anderen Rauschmitteln, besonders Kokain wurde zur "heimlichen" Mode-Droge einer avantgardistischen Subkultur in den Metropolen. Bis nach dem zweiten Weltkrieg wurde mit Haschisch nur von einigen Schriftstellern und Wissenschaftlern experimentiert. Mit der Protestbewegung der 60er Jahre setzte dann eine Verbreitung der Droge ein. Der Konsum von Haschisch und Marihuana wurde unter anderem als Protest gegen das bürgerlich-leistungsorientierte Establishment verstanden; als Hauptbeweggründe für den Drogenkonsum wurden damals immer wieder genannt: Selbstverwirklichung und Bewußtseinserweiterung. 1971 erklärt US-Präsident Nixon die Drogen als Staatsfeind Nummer eins, nach ihm ebenso Ronald Reagan.
Historische Fallbeispiele
Morphinismus
Jean Cocteau (französischer Schriftsteller)
Novalis (Freiherr von Hardenberg) - deutscher Schriftsteller
E.T.A. Hoffmann - deutscher Schriftsteller und Komponist
Alkoholismus
F.M. Dostojewski (russischer Schriftsteller)
Ernest Hemmingway (amerikanischer Schriftsteller)
Heroinismus
Chet Baker (amerikansicher Jazztrompeter)
Janis Joplin (amerikanische Rocksängerin)
Jimi Hendrix (amerikanischer Rocksänger)
Meskalin - Sucht
Lewis Henri Michaux (belgisch-französischer Schriftsteller und Maler)
Haschisch - Sucht
Charles Baudelaire (französischer Schriftsteller)
Edgar Allan Poe (amerikanischer Schriftsteller)
A. Modigliani (italienischer Maler)
Therapeutisches
Allgemein wird dem süchtigen Verhalten eine selbstzerstörerische Komponente zugeschrieben. Dies stimmt insofern, als ein anhaltender Mißbrauch zu Gesundheitsschäden führt. Die Funktionen des Suchtmittelgebrauchs sind vielfältig: Erleichterungstrinken, Konflikttrinken, Regression, Depressionsabwehr, Ersatzbefriedigung usw. So verschieden wie die Funktionen sind so unterschiedlich ist auch die Persönlichkeitsstruktur abhängiger Menschen. Eine typische Suchtpersönlichkeit gibt es nicht. Auch ist die Frage nach den Ursachen der Sucht differenziert zu betrachten. Nicht immer geht es um eine wie auch immer geartete Problemabwehr, die Geschichte lehrt uns, dass süchtige Menschen durchaus glückliche Beziehungen und beruflichen Erfolg hatten, man denke etwa an Rembrandt oder Richard Burton und dennoch wurden sie suchtkrank aber nicht deshalb, weil sie psychisch instabil gewesen wären. Diese Betrachtungsweise ist zu einfach und so sollten wir mit vorsíchtigem Optimismus die Methoden der Suchtprävention begrüßen.
Ziele der primären Suchtprävention
Um speziell die Entstehung einer Suchtgefährdung zu verhindern, zielt die primäre Suchtprävention vornehmlich auf die Förderung von suchtpräventiven Faktoren in der Persönlichkeitsstruktur. Hierzu gehören:
* Stärkung des Selbstwertempfindens, der Selbstakzeptanz, des Selbstvertrauens und der Selbstsicherheit
* Verbesserung der Konfliktfähigkeit und der Selbstbehauptung
* Förderung der sozialen Kontakt- und Kommunikationsfähigkeit
* Entwicklung von antidepressiven Bewältigungsreaktionen insbesondere für emotional belastende Situationen (z.B.
Mißerfolge, Trennungen, Kränkungen)
* Stärkung der "Unverwundbarkeit" bzw. Widerstandsfähigkeit besonders in Belastungssituationen
* ein hohes Maß an internaler Kontrollüberzeugung, d.h. der feste Glaube an die Gestaltbarkeit von neuen
Lebenssituationen; berufliche und private Erfolge werden primär zurückgeführt auf stabile Kompetenzen und
Ressourcen innerhalb der eigenen Person und auch mit einem entsprechend aktiven Verhalten herbeigeführt.
* Aufbau von Freizeitkompetenzen mit Intensivierung der Genuss- und Erlebnisfähigkeit
* Unterstützung bei der Suche nach einem "sinngebenden Weltbild".
Auch die Förderung der Kreativität, die regelmäßig in der Suchtprävention realisiert wird, ist kein Garant für eine anhaltende Abstinenz, denn es hat schon immer Künstler gegeben, die trotz ihrer außergewöhnlichen Kreativtität suchtkrank geblieben sind. Nichts desto trotz ist "die beste Droge ein klarer Kopf!"